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Adolf Loos und Wien, 1: Spuren einer barocken Avenue
Im ersten Teil des Wien Geschichte Wiki-Walks Adolf Loos und Wien werden folgende historische Stadtführungen von Adolf Loos in Auswahl vorgestellt:
Die Route führt vom Michaelerplatz über den Josefsplatz zum Lobkowitzplatz. Bei der Oper wird die Ringstraße überquert, der Walk führt weiter über den Getreidemarkt durch die Makartgasse in die Nibelungengasse und endet an der Babenbergerstraße. Dem "Quellentext der historischen Stadtführungen von Adolf Loos" schließen sich jeweils inhaltliche Erläuterungen an.
1. Station: Michaelerplatz: Adolf Loos als Architekturlehrer
Dieser Ort eignet sich besonders gut, um den grundlegendenden Ansatz des Architekturlehrers Adolf Loos nachzuempfinden, da sein in Wien gebautes Hauptwerk, an einem neuralgischen Punkt der Innenstadt errichtet, in Dialog zu den umliegenden Bauten des ausgehenden 18. Jahrhunderts tritt, diese Traditionen aufgreift und fortsetzt, während es den historistischen Bauten, welche die barocke und klassizistische Tradition abbrechen und zu überwinden versuchen, eine radikale Absage erteilt.
Der Platz ist jedoch nicht ausschließlich in architektonischer Hinsicht für Loos wichtig: Auch als -wenngleich utopischer Städteplaner- knüpfte Adolf Loos an barocke städtebauliche Avenuekonzepte aus der Zeit Karls VI. an. Er hatte im ersten Jahr seiner Bauschule gemeinsam mit seinem Schüler Paul Engelmann einen Plan zur Regulierung der Innenstadt auf Basis des Baubestandes von 1859 vorgelegt. Die Ringstraße, die Loos größtenteils als unliebsame Trennung von Stadt und Vorstadt begriff, wurde gleichsam zurückgenommen, in aneinander gereihte und ineinander greifende Platzsysteme nach dem Vorbild von Camillo Sitte aufgelöst. Im Zentrum steht eine in das Barock zurückreichende, rudimentär vorhandene Avenue, die durch die Herrengasse, hindurch vorbei am Michaelertrakt der Hofburg führte und in der Kuppel der Karlskirche ihr visuelles Ziel erreichte. Der Bau des Geschäftshauses für den Herrenschneider Goldman und Salatsch an dieser Avenue, die Loos in seinem utopischen Plan durch Entfernung der Oper freilegte, ist zentral für sein traditionelles Architekturverständnis. Es soll an das Vorhandene angeknüpft, darauf aufgebaut werden, unmotivierte Neuerungen, die aus keiner Tradition ableitbar sind, sind von Übel. In seinem Essay "Meine Bauschule" aus dem Jahr 1913 legte Loos sein Programm mit vehementer Deutlichkeit vor:
" […] Ein Lichtstrahl in meinem Leben! Einige Wagnerschüler, meiner Meinung nach die besten, ersuchten mich, für die verwaiste Lehrkanzel Otto Wagners zu kandidieren. Selbstverständlich war ich von der Erfolglosigkeit eines solchen Beginnens überzeugt. Aber das Vertrauen unserer besten Jugend gab mir die Kraft, meine eigene Schule ins Leben zu rufen. Und so entstand die Adolf Loos-Bauschule. An die Stelle der auf unseren Hochschulen gelehrten Bauweise, die teils aus der Adaptierung vergangener Baustile auf unsere Lebensbedürfnisse besteht, teils auf das Suchen nach einem neuen Stil gerichtet ist, will ich meine Lehre setzen: die Tradition. Im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts haben wir die Tradition verlassen. Dort will ich wieder anknüpfen. Unsere Kultur baut sich auf der Erkenntnis von der alles überragenden Größe des klassischen Altertums auf. Die Technik unseres Denkens und Fühlens haben wir von den Römern übernommen. Von den Römern haben wir unser soziales Empfinden und die Zucht der Seele. Seitdem die Menschheit die Größe des klassischen Altertums empfindet, verband die großen Baumeister ein Gedanke. Sie dachten: so wie ich baue, hätten die alten Römer diese Aufgabe auch gelöst. Diesen Gedanken will ich meinen Schülern einimpfen. Das Heute baue sich auf das Gestern auf, so wie sich das Gestern auf das Vorgestern aufgebaut hat. Nie war es anders – nie wird es anders sein. Es ist die Wahrheit, die ich lehre. Infolge der falschen Lehren, die alle Schulen und die Öffentlichkeit in Beschlag genommen haben, werde ich den Sieg der Wahrheit nicht erleben. Ob meine Schüler ihn erleben werden, hängt von ihrer Kraft ab. Ich warne Kraftlose, meine Schüler zu werden. Ausgeschlossen aus der Kameraderie, die sich durch Bünde, Vereine, Kunstzeitschriften und die Tagespresse die Öffentlichkeit erobert hat, müssen sie ihre eigenen Wege gehen. Staatsaufträge und Lehrkanzeln kann es für sie nicht geben. […]"
- Goldman & Salatsch; Herbersteinpalais: der Respekt vor Barock und Klassizismus sowie die Abkehr vom Historismus
"Wenn man die wunderschöne Kuppel über der Reitschule betrachtet und die umstehenden Häuser, wie sie sich derselben anpassen, begreift man, muss man begreifen, warum das Haus am Michaelerplatz so gebaut wurde und wie falsch dagegen das Herberstein'sche Haus mit seiner "Burg"-Ähnlichkeit und Kuppel auf dem Platze ist.-" (Adolf Loos, Stadtführung am 13. Dezember 1913)
"Das Wichtigste bei der Inneneinrichtung ist, dass man die Stimmung durch Form und Material festhält. Dies hier ist ein Herrenschneidergeschäft und hier kann man nicht Wurst verkaufen, wie beim Wild, aber dort wäre es leicht möglich, Damenhüte zu verkaufen. Das Geländer ist ein Maßstab und je niedriger es ist, desto höher sieht der Raum aus. Es ist wie die Stufe eine menschliche Sache – und wenn man noch so große Fenster baut und daneben einen Balkon mit niederem Geländer, wird man daran die richtige Größe der Zimmer erkennen." (Adolf Loos, Stadtführung am 6. Dezember 1913)
Den Auftakt bildet eine ästhetische Rechtfertigung seines Hauses auf dem Michaelerplatz (Bauzeit 1909-1911) in Gegenüberstellung zu dem von Loos mehrfach attackierten Herbersteinpalais des Architekten Carl König. Hauptsächlicher Angriffspunkt am 1897 errichteten Palais Herberstein war die Wiederholung architektonischer Motive (rustizierter Sockel; Kuppelaufbau), die vom benachbarten Michaelertrakt der Hofburg stammen sowie deren Wiederverwendung in einem selbständigen Bau, der nicht zum Burgensemble gehört. Adolf Loos hatte mit seinem Haus bewußt auf die Übernahme von Elementen der Hofburg verzichtet, sich in seiner Formensprache eher an der Michaelerkirche (Portikus) angelehnt und einen klassischen Dreiklang von Sockelzone, Obergeschoßzone und Dach geschaffen, wie er an der durch Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg gestalteten Kirchenfassade aber auch an den Palais der Herrengasse üblich ist.
Von fundamentaler Bedeutung für ein Gebäude ist die Stimmung, die durch Materialkompositionen erzeugt wird. Es ist Loos zufolge überhaupt Hauptaufgabe des Architekten, mit Materialien Stimmungen zu erzeugen, die diesen Materialien an sich noch nicht innewohnen. Die Materialstimmung und die Form definieren den Zweck eines Bauwerkes. Es fällt auf, wie sehr Loos durch seine mit Sarkasmus gespickten Ausführungen ein Männlichkeitsethos in die Architektur einführt. Sein Bau, der ein Herrenschneidergeschäft beherbergt, wo keine Damenmode, nichts Weibliches verkauft wird und werden kann, weil die Formen dann andere sein müssten, ist auch ein männlicher Bau: dekorlos, kräftig, formenstreng und klar und bildet es als geradezu den Widerpart zum als weiblich empfundenen Palais Herberstein mit seinen üppigen und verspielten Neubarockformen und der in Loos' Sichtweise charakterschwachen Anbiederung an die Formen der Hofburg. Hier klingt die Hysteriedebatte und der Geschlechterdiskurs des Fin de siècle nach, welche Weiblichkeit, Ornament und nicht klar umrissene, ausschließlich weibliche Beschwerden in eine Beziehung setzen. Als Wegbereiter dieser Debatte, die nicht nur von Adolf Loos, sondern auch von Karl Kraus geführt wurde, ist Otto Weininger anzusehen, den beide Männer reichlich rezipierten.
2. Station: Josefsplatz
In seinem Essay "Meine Bauschule" (1913) führte Loos als eines seiner großen Vorbilder den frühklassizistischen Hofarchitekten Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg an und legte zugleich seine zentrale Methode vor, die historische Bauaufnahme, wie sie von Friedrich Schmidt, den Loos hoch verehrte, in der Wiener Architektenausbildung sowie zu Studienzwecken besonders betrieben wurde.
"Ich werde im nächsten Jahre meine Bauschule ausgestalten. […] Und schließlich wird in jedem Jahr ein Wiener Bauwerk vollständig aufgenommen werden, ein Bauwerk aus jener Zeit, an die wir anzuknüpfen haben. Im nächsten Jahre soll das Hauptwerk Hohenbergs von Hetzendorf, das Palais Pallavicini am Josefsplatz, die Reihe beginnen."
3. Station: Lobkowitzplatz
"Palais Lobkowitz. Architekt unbekannt. Nach dem Unterrichtsministerium (Minoritenplatz) ältestes Palais Wiens. Eingangsportal von Fischer von Erlach" (Adolf Loos, Stadtführung am 8. November 1913)
Die erste Exkursion, die Loos 1913 veranstaltete, endete damals am Lobkowitzplatz. Typisch für Loos und dessen Hochachtung vor aristokratischer barocker Architektur ist der Hinweis auf das Lobkowitzpalais. Der Architekt des Bauwerks, Giovanno Pietro Tencala, war Loos offenbar nicht bekannt. Sehr wohl hervorgestrichen wird der Beitrag von Loos' bevorzugtem Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach, der 1694 nicht nur das Portal errichtete, sondern die von Tencala begonnenen Planungsarbeiten unter dem Einfluss von Domenico Martinellis entstehendem Liechtensteinpalais bedeutend abänderte.
- Miethaus Lobkowitzplatz 1
"Haus gegenüber Otto Wagner. Sehr schönes Portal, ursprünglich grün. Die Stufen sind aufwärts geneigt, um Stiegen zu sparen, sehr niedrig und bequem, Geländer sehr schön." (Adolf Loos, Stadtführung am 8. November 1913)
Vis-á-vis des Lobkowitzpalais befindet sich das zwischen 1884 und 1885 nach Plänen von Otto Wagner errichtete Länderbankzinshaus. Das Gebäude musste Loos gut gekannt haben, da er darin 1903 die Wohnung für Jakob Langer, den Bruder des Wechselstubenbesitzers Dr. Leopold Langer, für welchen Loos ebenfalls tätig war, eingerichtet hatte. So nimmt es nicht wunder, dass er auch die Innenansicht referiert und ausdrücklich auf eine Besonderheit im Bau der Stufen hinweist: Diese wurden aus Sparsamkeitsgründen mit einer leichten Neigung errichtet, was diese zudem besonders bequem mache. Die von Loos erwähnten bequemen und geneigten Stufen sind zum Teil erhalten. Das Stiegenhaus wurde zum Teil 1945 zerstört und weist Gestaltungselemente aus der Nachkriegszeit auf (neuer Handlauf, Kunststeinstufen mit geänderter Steigung). Das von Loos in diesem Haus gestaltete Interieur hat sich nicht erhalten.
4. Station: Opernring
- Heinrichhof, zerstört, seit 1954 durch Opernringhof ersetzt
"Das Haus Opernring 3 von Hansen gebaut ist der Typus des guten Wiener Ringstraßenhauses. Es wurde 1863 gebaut. Da die Polizei in Wien nur 4 Etagen und 24 m erlaubt, so hat Hansen, um mehr Wohnräume zu schaffen, die Aufbauten an den Seiten angebracht. Die anderen Späteren wollten ja auch ausnützen so sehr sie konnten, aber wie haben sie das gemacht, mit Türmen und Kuppeln.- Der Blick links von der Oper hinunter über die Ringstraße ist der schönste. Das ist die Millionenstadt, das ist Wien. Aber was sie jetzt bauen, ist das 5-stöckige Mährisch Ostrau.- Das Haus auf dem Michaelerplatz kommt nicht dazu: denn es hängt vom Platze ab, wo es hingehört, wie ein Haus ausschauen muss." (Adolf Loos, Stadtführung am 22. November 1913)
Der erste Halt wurde beim vis-á-vis der Oper gelegenen Heinrichhof gemacht: Die Besprechung des Gebäudes lässt die grundsätzliche Wertschätzung, die Loos dem streng historistischen Architekten Theophil Hansen auch bei anderen Gelegenheiten entgegenbrachte, erkennbar werden, wenn er das Bauwerk zum "Typus des guten Ringstraßenhauses" rechnete. Für Loos fügte sich der Heinrichhof gut in die Erscheinung dieses Ringstraßenabschnittes ein: "Der Blick links von der Oper hinunter über die Ringstraße ist der schönste, das ist die Millionenstadt, das ist Wien." Loos schätzte den Eindruck, welchen die gründerzeitlichen Bauten aus den frühen 1860er Jahren boten: das Dekor war schlicht, es gab keine Aufbauten oder vorspringende Risalite, die Fensterachsen waren streng additiv. Dahinter stand die zweite Wiener Bauordnung, die 1859 für die Anlage der Ringstraße entwickelt worden war und die Aufbauten generell verbot. Dadurch entstand ein sehr ernster und ruhiger Straßencharakter. Die Ausnahme, die der Bauherr des Heinrichhofes Heinrich Drasche erwirken konnte, weil sich dem wuchtigen Opernhaus gegenüber ein repräsentativeres Bauwerk besser ausnahm als eine Reihe von einzelnen Palais, kann Loos verstehen. Er sieht sogar den beabsichtigten ökonomischen Nutzen dahinter, da Hansens Aufbauten noch für Wohnzwecke nutzbar waren, im Gegensatz zu jenen, die spätere Architekten geplant hatten und lediglich dekorativen Wert besaßen.
5. Station: Getreidemarkt
"Die Secession von Olbrich 1897 gebaut. Er ist kein Architekt, trotzdem Otto Wagner ihn für seinen besten Schüler und Propheten hält. Damals baute Otto Wagner die Stadtbahn und „Studio“ war voll mit diesen Zeichnungen. An der Haltestelle Kettenbrückengasse sind Pylonen mit Lorbeerbäumen – Ornamente. Dort hatten die Pylonen eine Berechtigung, weil sie ein Geländer halten. Dass Olbrich nur auf grafischem Weg, schwarz weiß nimmt es sich ganz gut aus, auf die Idee des Lorbeerbaumes kommen konnte, ist klar. Dann schwebte ihm noch die Peterskuppel vor, der Lorbeerbaum ist auch rund, so musste ihn ein Schlosser schmieden, und ein Dach ist es auch nicht, denn es regnet hinein. Der Aufbau herum ist ganz einfach eine aufgenagelte Kiste. Dass er nur Grafiker ist, beweisen die Eulen an den Seitenwänden. Die waren damals im „Studio“ als Zeichnung eines englischen verdrehten Frauenzimmers erschienen; da hat er sie dahin gepappt. Es erkennt sie dort keiner. Aber Loos ist der Detektiv, der kommt schon hinter alles. Die Flaggenstangen mit Kränzen sind nicht etwa zum Aufhängen von Kränzen bestimmt, sondern sind Wasserrinnen. Die tanzenden Bachantinnen von Kolo Moser hat Oerley zum Glück weggeputzt. Von Oerley sind die Blumenbehälter beim Eingang. Der Marc Aurel [sic!] von Arthur Strasser galt im Jahre 1900 bei der Pariser Weltausstellung als die beste Wiener Bildhauerarbeit und es war eine große Entrüstung, als Klimt und nicht Strasser eine große Ehrenauszeichnung bekam. Heute ist der Marc Aurel [sic!] schon verblasst, aber es ist eine gute dekorative Arbeit. Bewundern freilich konnten die französischen Bildhauer nicht viel an ihm." (Adolf Loos, Stadtführung am 22. November 1913)
Die Secession dürfte Loos nur von außen besichtigt haben. Loos, der in seiner gesamten Architekturlehre sowie in seinem schriftstellerischen Schaffen immer wieder Kritik an der secessionistischen Strömung übte, mit der Josef Hoffmanns Arbeiten engstens verbunden sind, nutzt den Besuch dieses Ausstellungsgebäudes für einen Rundumschlag. Es gibt Belege dafür, dass Loos zur Zeit der Gründung der Secession dieser durchaus nicht feindlich gesonnen war. Er hatte sogar in Ver Sacrum publiziert. Die Ablehnung von Loos' Ansinnen durch Josef Hoffmann im November 1898, ihm den Auftrag für die Einrichtung des sogenannten Ver Sacrum-Zimmers für die erste Ausstellung in der Secession zu überlassen, dürfte ein wichtiger persönlicher Impuls für den zeitlebens geführten Kampf gegen diese Richtung gewesen sein.
Dem Architekten des Bauwerkes, Josef Maria Olbrich, sprach Loos bei der Führung jede architektonische Fähigkeit ab und bezeichnete ihn als bloßen Graphiker. Einzelne Elemente der Secession seien ferner nicht Schöpfungen Olbrichs, sondern Kopien aus Architektur- und Kunstgewerbezeitschriften. Von seinem Lehrer Otto Wagner habe er dekorative Elemente der Stadtbahn kopiert, ohne diese jedoch verstanden zu haben. Von dort her wurden beispielsweise die Fahnenmasten mit den Lorbeerkränzen übernommen, aus welchen Olbrich jedoch getarnte Regenrinnen gemacht hatte. Loos stilisierte sich vor seinen Hörern gleichsam zum Detektiv, der alles genau untersucht und aufdeckt. Wenn Loos Olbrich jedoch mangelnder Originalität bezichtigte und ihm unterstellte, die drei Eulen aus der weitverbreiteten Architektur- und Kunstgewerbezeitschrift "The Studio" übernommen zu haben, irrte er. Die Eulen sind in keiner Nummer der Zeitschrift enthalten, sie stammen nämlich von Kolo Moser und dürften auch dessen Entwurf sein. Die Eulen sind ebenso wie die an der Fassade befindlichen Gorgonenhäupter Symbol der Pallas Athene, welche als Weisheitsgöttin Architektur, Malerei und Bildhauerei schützt und erfüllen neben dem eher zweitrangigen dekorativen Zweck vor allem einen symbolischen.
Einen bemerkenswerten Hinweis überlieferte der anonyme Verfasser der Mitschrift in Bezug auf das von Kolo Moser an der seitlichen und rückwärtigen Fassade gestaltete Relief, "Reigen der Kranzträgerinnen". Diese Arbeit, von Loos als "Bachantinnen" tituliert, konnte Loos seinem Publikum nicht mehr zeigen, da sie entfernt – Loos sagte "weggeputzt" – worden war, nachdem Moser 1905 mit der Klimtgruppe die Secession verlassen hatte. Loos datierte in der Führung diese Entfernung fälschlich in die Zeit der Direktion von Robert Oerley. 2018 wurde anlässlich des 100. Todestages von Kolo Moser ein Teil dieses Kunstwerkes vor Ort rekonstruiert.
Die weltberühmte Lorbeerkuppel fand Loos' besonderes Missfallen, da sie den praktischen Zweck eines Daches, den eine Kuppel auch haben solle, nicht erfüllt. Sie ist für Loos das Sinnbild für ornamentale Materialverschwendung und praktische Nutzlosigkeit, da sie das Gebäude nicht vor der Witterung schützt und unter diesem Laubdach ein weiteres Dach benötigt wird.
- Häusergruppe Getreidemarkt 1 und 3
"Getreidemarkt 1-3 zeigt was wir hatten und was wir statt dessen jetzt haben." (Adolf Loos, Stadtführung am 22. November 1913)
Loos führte einige Schritte weiter nach Westen, um die beiden Häuser Getreidemarkt Nr. 1 und Nr. 3 einander gegenüber zu stellen. Die beiden Gebäude drücken mustergültig aus, warum Loos die traditionelle Architektur den damals noch jungen historistischen Bauwerken vorzog: Das ältere Gebäude (Haus Nr. 3), ein Werk des Architekten Anton Hoppe, ist ein viergeschoßiges Eckhaus zur Papagenogasse in unmittelbarer Nähe zum Theater an der Wien. Es weist eine klare, sehr strenge, die Horizontale betonende Gliederung auf. Der Kern des Hauses stammt aus dem späten 18. Jahrhundert, er weist biedermeierliche Umgestaltungen (Aufstockung und Fassadierung) auf. Es handelt sich dabei um das Geburtshaus des Dichters Ferdinand von Saar.
In massivem Gegensatz zu dieser schlichten Strenge steht das Haus Getreidemarkt Nr. 1, das im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nach Plänen des Architekten Carl Stephann errichtet wurde. Für Loos ist dieses Gebäude nahezu symptomatisch. Ermöglicht durch eine geänderte Bauordnung überragt es das alte Nachbarhaus massiv, nimmt die Umgebung und deren gewachsenen Maßstäbe nicht wahr. Dieses Gebäude stammt aus einer Zeit, als die Wienzeile in städtebaulicher Hinsicht aufgewertet werden sollte (Boulevard West). Mit seiner Kritik legte Loos auch den Finger auf aus seiner Sicht städteplanerische Missstände, wonach reihum Altbauten dem spätgründerzeitlichen Bauboom geopfert würden und Wien nach und nach erhebliche Stadtbildverluste erlitte.
- Akademie der bildenden Künste
"Die Akademie von Hansen in den 70er Jahren gebaut, war sein erstes monumentales Gebäude. Danach baute er das Parlament. Die Rückansicht des Gebäudes ist die großartigere, weil es auch hier viel höher ist. Der Sockel aus Granit ist das großartigste, was in der neueren Zeit hier gebaut wurde. Wunderbar fein auch, wie die Rundbogen der Hinterfront mit den Fenstern der Seitenfront in Einklang gebracht und unter ein Gesimse gebracht wurden. Monumental, wie er das ganze Gebäude auf die vier Eckpylonen stützt, ohne einen Risalit in die Mitte zu bringen. Das würde kein „Moderner“ zu Wege bringen. An dem Seiteneingang in der Makartgasse kann Loos niemals vorübergehen, ohne Bewunderung zu empfinden. Es ist das Vollkommenste, was wir haben. Richtig ist auch der Standpunkt des Gebäudes nach der Ringstraße zu: wenn man von dort hinüber schaut, hat man das Empfinden des Großartigen, Überraschenden, Monumentalen, dabei muss man bedenken, dass die Ringstraße höher liegt. Wäre es umgekehrt, wäre es geradezu überwältigend. Solche Blicke machen eine Stadt reich. Aber das Burgtheater, das sich auf die Ringstraße hinausdrängt, das unrichtig placierte Goethedenkmal gewähren keine Überraschungen." (Adolf Loos, Stadtführung am 22. November 1913)
Mit besonderer Ausführlichkeit besprach Loos Theophil Hansens Akademie der bildenden Künste. Hymnisches Lob spendete er dem vermeintlichen Granitsockel (es handelt sich um Kalksandstein, der Fehler ist wohl dem Protokollanten und nicht Adolf Loos zuzuschreiben) und den darin eingelassenen Nebeneingang in der Makartgasse, an dem "Loos niemals vorübergehen [kann], ohne Bewunderung zu empfinden. Es ist das Vollkommenste, das wir haben." Die Monumentalität wird Loos zu folge durch den Überraschungseffekt bewirkt: Im Gegensatz zum Burgtheater, das Loos hier als Vergleich heranzog, drängt sich die Akademie nicht auf die Ringstraße hinaus, dadurch wird sie später gesehen und macht staunen. Zusätzlich wies Loos auf die Lage des Bauwerks in einem leicht zum Getreidemarkt abfallenden Gelände hin: Hansen glich den Niveauunterschied mit einem Sockel aus, der die Monumentalität des Bauwerkes auch von der Rückseite her wirkungsvoll in Szene setzte. "Solche Blicke machen eine Stadt reich." Minutiös wurden die einzelnen gestalterischen Elemente der Fassade analysiert. Besonders bemerkenswert erschien Loos die Tatsache, dass Hansen es wagte, unter ein und dasselbe Gesimse und unmittelbar nebeneinander Rundbogenfenster und gerade verdachte Fenster zu setzen, ohne dass der harmonische Zusammenklang darunter gelitten hätte.
6. Station: Nibelungengasse/Eschenbachgasse
"Der Ingenieur- und Architektenverein hatte zur Aufgabe, große Saallokalitäten zu bauen, was auch sehr glücklich gelöst wurde. Erbaut von Thienemann 1876, unter starker Einwirkung von Hansens Heinrichhof. Selbst die liegenden Figuren über den Fenstern sind herübergenommen. Hansen hat Terracotta-Figuren. Nachahmungen der Medici-Grabgruppe des Michelangelo. Hier waren es selbständige Bildhauerarbeiten." (Adolf Loos, Stadtführung am 22. November 1913)
Zu diesem Gebäude hatte Adolf Loos einen starken persönlichen Bezug. Im Festsaal des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines hielt Loos zahlreiche Vorträge, darunter auch "Ornament und Verbrechen". Loos interpretierte die Fassade als stark von Hansens Akademie beeinflusst, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet und zeitgleich entstanden war. Das Farbspektrum, das bei Hansen die Terrakotta bewirkte, hatte der Architekt Otto Thienemann hier durch unverputzten Backstein erreicht. Als Vorbild für den figuralen Schmuck über die segmentgiebelige Fensterverdachung erkannte Loos sowohl bei der Akademie als auch beim Gebäude des Österreichischen Ingenieur- und Gewerbevereines Michelangelos Grabmal für Giuliano di Lorenzo de' Medici in Florenz.
7. Station: Babenbergerstraße/Museumsplatz
"Die Seitenansicht des Kunsthistorischen Museums von Semper so genau ausgedacht, die Übereinstimmung der Überschriften mit dem Medaillonköpfen und Figuren, von den Bildhauern, denen er es nach ihrer Begabung zuwies, sowenig seinen Intentionen gemäß durchgeführt, dass er nach 2-3 jährigem Herumnörgeln das Ganze sein ließ. Die Zwickelfiguren und Metopen von Weyr. Hier auch ein Geniestreich Sempers. Die Eckpilaster der römisch-dorischen Ordnung angehörend, müssen 8 u.d.d.h. der unteren Breite hoch sein, so ist es auch an der oberen Ecke, aber an der Ringstraßenecke, wo das Terrain um so viel tiefer liegt, sind sie um drei Breiten höher und wirken trotzdem sie so sehr erhöht sind ganz natürlich, da sie wiederum nur das 8-fache der Höhe sind. Dies war aber nur in der Rustica-Ausführung möglich." (Adolf Loos, Stadtführung am 22. November 1913)
"Die Museen aber, wie sie hier stehen, sind ganz und voll Sempers Werk. Sie sind von einer Schönheit und von einem Adel in der Auffassung und Durchführung, wie seit der Renaissance nicht gebaut wurde. Das Gesims über den Parterrefenstern ist so edel, die Metopen mit den Triglyphen so wunderbar in der Kräfteverteilung in ihrer Profilierung, dass Loos bei ihrem Betrachten ein Lustgefühl hat, wie es nur etwas ganz Erhabenes, etwa ein Detail bei Beethoven auslösen kann. Die große Kuppel und die vier Eckrisalite mit kleinen Kuppeln hat Semper gleich in seinem Plan von dem Plan Hasenauers übernommen, wahrscheinlich, weil ihm das noch das Brauchbarste in diesem Plan erschien und er so sein Entgegenkommen seinem Mitarbeiter bekunden wollte. Die Rustica war zuerst höher geführt, dann aber beanspruchten die Kustoden der verschiedenen Sammlungen mit Recht mehr Licht und so erhielten sie dann die jetzige Gestalt und Höhe. - Aber der Gedanke, ein Mittel und zwei Eckrisalite allein, konnte damals nur von einem Semper herrühren und durchgeführt werden. Die großen Flächen unter den Eckfenstern zwischen je zwei Pfeilern sind echtester, schönster Semper, während z.B. der Vorsprung, auf dem die Gruppen Faust-Helena - Amor-Psyche sind, plump im Detail sind und vom Hasenauer sein müssen. Im Inneren waren wohl die Werkpläne von Semper da und im Großen-Ganzen musste man sich daranhalten, aber hier änderte Hasenauer nach Herzenslust und es ist auch danach ausgefallen." (Adolf Loos, Stadtführung am 29. November 1913)
Nach der ausführlichen historischen Schilderung der Baugeschichte wandte sich Loos den beiden Hofmuseen zu, da er in ihnen Sempers Handschrift am besten erkennen konnte und ihm Hasenauers Einflüsse marginal erschienen. Die Museen sind für Loos "von einer Schönheit und von einem Adel in der Auffassung und Durchführung, wie seit der Renaissance nicht gebaut wurde." Beim Betrachten der in Naturstein ausgeführten Profilierungen der Gesimse erlebte Adolf Loos ein "Lustgefühl, wie es nur etwas ganz Erhabenes, etwa ein Detail bei Beethoven auslösen kann."
Die Museumsbauten verglich Loos mit der Neuen Burg, wo Hasenauer und die nachfolgenden Architekten markant in Sempers Vorarbeit eingegriffen hatten: "Hier änderte Hasenauer nach Herzenslust und es ist auch danach ausgefallen."
Den Abschluss der zweiten Führung bildete die Besprechung der gegen die Babenbergerstraße gelegene Fassade des Kunsthistorischen Museums. Hier zeigte sich Loos einmal mehr als ergebener Anhänger von Gottfried Semper, dessen Projekt eines Kaiserforum er einen eigenen Führungstermin widmete. An dieser Stelle begnügte sich Loos mit eher technischen Hinweisen, die jedoch bei näherer Betrachtung erstaunliches zu Tage fördern: Loos legte mathematisch dar, wie es Semper gelang, den geländebedingt erforderlichen Sockel so mit den Pfeilerordnungen, die nach antiken Vorbildern bestimmte Höhen- und Breitenverhältnisse verlangen, in Einklang zu bringen, sodass das Bauwerk trotz unterschiedlicher Niveaus, auf denen sich ein Betrachter beim Abschreiten des Bauwerks befindet, weder gestaucht noch gestreckt wirkt. Während an der linken höher liegenden Gebäudekante die Basis des rustizierten Pfeilers auf dem Sockel steht und in der Farbe der Wand erscheint, hat Semper die auf der rechten, tiefer liegenden Gebäudekante befindliche Basis des Pfeilers in den Sockel integriert und ihm die Farbe des Sockels verliehen. Für diesen abwechselnden Niveauausgleich gliederte der Architekt den Pfeiler an der höher gelegenen Gebäudeecke in 10, den Pfeiler an der tiefer gelegenen Gebäudeecke jedoch in 13 rustizierte Felder. So bleibt die Gesamtproportion stimmig und der Niveauausgleich stört die Harmonie nicht.
Der Grund, weshalb sich Loos während der Führungen so vehement für Semper verwendet und wiederholt auf ihn zu sprechen kommt, ist in der mehrfachen und sehr konsequenten Rezeption von Sempers Architekturtheorie zu suchen, mit welcher Loos höchstwahrscheinlich in seiner Dresdner Zeit in Kontakt gekommen ist. Sowohl das "Prinzip der Bekleidung" als auch die Lehre, dass jedes Material eine dessen Materialität angemessene Form habe, sind Gedanken, die Loos von Semper übernommen hatte.
Karte
Quelle
- Mitschrift zu Stadtführungen im Rahmen der Bauschule Adolf Loos. Wien, 1913-1914 / WBR, HS, ZPH 1442, schriftlicher Teilnachlass Adolf Loos, 1.4.20, Blatt 1-8
Literatur
- Adolf Loos: Meine Bauschule. In: Franz Glück (Hg.): Adolf Loos. Sämtliche Schriften. Wien: Herold 1962, S. 322 ff.
- Manfred Schneider: Hysterie als Gesamtkunstwerk. In: Alfred Pfabigan (Hg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist der Jahrhundertwende. Wien: Brandstetter 1985, S. 212 ff.
- Harald Stühlinger: Adolf Loos als Führer zu Architektur und Städtebau. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 223 f.
- Hana Tomagová: Bauaufnahme im 19. Jahrhundert. Studienreisen von Architekten des Ateliers Friedrich von Schmidt/Viktor Luntz durch Böhmen, Mähren und Oberungarn in den Jahren 1862-1896. Wien: Böhlau 2022