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Arbeiterbewegung

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Datei:Arbeiterbewegung.jpg
Eine Arbeiter-Versammlung in Wien (Zeichnung, 1868)
Daten zum Eintrag

Anfänge

Datei:Arbeiterbewegung 1848.jpg
Eine Szene in einer Schmiedewerkstätte der Wien-Gloggnitzer Bahn am 11. März 1848

In den Jahren vor Ausbruch der Revolution im Jahr 1848 war es zu einer dramatischen Verschlechterung der Lebensbedingungen großer Teile der Arbeiterschaft in dem für die Frühindustrialisierung charakteristischen Konjunkturschwankungen gekommen. In Verbindung mit Mißernten und daraus resultierenden Preissteigerungen kam es während der Märzrevolution besonders in den Vororten zu Demonstrationen von proletarischen Schichten die mit Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Steigerung der Löhne verbunden waren. Besonders Teile der Studentenschaft solidarisierten sich mit dem Proletariat, welches jedoch vom Bürgertum in Stich gelassen wurde. Am 23. August 1848 spalteten sich die Revolutionären Kräfte endgültig, als demonstrierende Arbeiterinnnen und Arbeiter in der so genannten Praterschlacht von der bürgerlichen Nationalgarde zusammengeschossen wurden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter zählten somit schon vor deren Niederschlagung durch die kaiserlichen Truppen im Oktober 1848 zu den Verlierern der Revolution. Dennoch markierte die Revolution einen entscheidenden Anfangspunkt für die Arbeiterbewegung, da dabei erstmals soziale Forderungen der Arbeiterschaft kollektiv artikuliert wurden.

Nach Ende der neoabsolutistischen Ära stieg die österreichische Arbeiterbewegung in einem Milieu des Zerfalls historisch gewachsener staatlicher Formen und überlieferter Parteiengebilde auf, in einem Umfeld nationaler Konflikte und Auseinandersetzungen. In einem agrarisch-kleinbürgerlichen Land repräsentierte sie die Massenbedürfnisse einer sich schnell entwickelnden, jedoch auf bestimmte Enklaven beschränkten industriellen Gesellschaft. In vielerlei Hinsicht trat sie das politische und kulturelle Erbe des kurzlebigen und wenig durchsetzungsfähigen österreichischen Liberalismus an. Bereits im Gefolge der Hochkonjunktur der Gründerzeit und als unmittelbare Auswirkung des Vereins- und Versammlungsrechts des Staatsgrundgesetzes von 1867 hatten sich zunächst wenig differenzierte und strukturierte Organisationsformen der gewerblichen und industriellen Arbeiterschaft herauszubilden begonnen. Die Jahre bis zum katastrophalen wirtschaftlichen Einbruch 1873 waren von Massendemonstrationen und öffentlichen Manifestationen insbesondere der qualifizierten Schichten der städtischen Arbeiterschaft gekennzeichnet. Überregionale Organisationsformen und einheitliche politische Orientierungen konnten entsprechend der gegebenen Gesetzeslage und den wenig fortgeschrittenen Prozessen der Klassenkonstituierung jedoch noch nicht entwickelt werden.

Keimzellen einer Organisierung hatten sich in den Arbeiterbildungsvereinen gebildet, von denen der am 15. September 1867 gegründete Erste Wiener Arbeiterbildungs-Verein in Gumpendorf der bedeutendste war (1870 erreichte er mit knapp 6.000 Mitgliedern seinen organisatorischen Höhepunkt). Zur Klärung politischer Fragen wurden Massenveranstaltungen organisiert, die so genannten Arbeitertage. Das auf dem fünften Arbeitertag vom 16. Mai 1868 in Zobels Bierhalle (6.; Zobeläum) beschlossene "Manifest an das arbeitende Volk in Österreich" fasste erstmals zentrale Forderungen der Arbeiterschaft zusammen und wurde in allen Sprachen der Monarchie verbreitet. Am neunten Arbeitertag vom 30. August 1868 wurde auf Antrag des Tischlergehilfen Hermann Härtung erstmals ein umfassendes, lassalleanisch-sozialistisches Programm beschlossen, das folgende Kernpunkte enthielt:

  • Forderung des allgemeinen Wahlrechts,
  • allgemeine Volksbewaffnung und Abschaffung aller stehenden Heere,
  • volles Vereins- und Versammlungsrecht sowie
  • Förderung der freien individuellen Arbeiterorganisationen durch den Staat (Staatshilfe).

Von der liberalen bürgerlichen Öffentlichkeit zunächst als eine Bewegung zur qualifizierten Selbsthilfe der Arbeiterschaft durchaus mit Sympathie aufgenommen, wurde in dem Moment, als die Arbeiterschaft den engen Rahmen der verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte zu sprengen drohte, der staatliche Repressionsapparat mobilisiert. Im Gefolge der großen Wahlrechtsdemonstration der Wiener Arbeiterschaft vom 13. Dezember 1869 kam es im Lauf des Jahrs 1870 zur Verhaftung praktisch der gesamten Führungsgarnitur, zu einem Hochverratsprozess wegen staatsgefährdender Tendenzen und zur erstmaligen Auflösung des Gumpendorfer Arbeiterbildungsvereins. Behördliche Repression, der Verlust begabter Arbeiterführer durch Auswanderung (Andreas Scheu) oder Verhaftung und Verurteilung (Dr. Hippolith Tauschinsky), die Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs von 1873 und persönliche Zwistigkeiten führten in der Folge bis zum Beginn der 1880er Jahre zu einem Zerfall und gänzlichen Bedeutungsverlust der Arbeiterbewegung.

Gründungsparteitag

So musste auch der so genannte "Erste Gründungsparteitag" der österreichischen Sozialdemokratie vom 5./6. April 1874 in Neudörfl (Ungarn) ohne weitere politische Bedeutung bleiben, obwohl er im Prinzip die organisatorischen Strukturen für den Aufbau einer modernen Massenpartei geschaffen hatte. Unter diesen Bedingungen konnte Anfang der 1880er Jahre die anarchistisch inspirierte "Propaganda der Tat" vor allem im kleinen Handwerk der größeren Städte eine breitere soziale Basis finden. Die "Radikalen" gerieten in einen unversöhnlichen Fraktionsgegensatz zu den teilweise nach liberalen Prinzipien, teilweise nach deutschem Muster marxistisch orientierten "Gemäßigten". Als nach einer Serie terroristischer Attentate über Wien, Wiener Neustadt und Korneuburg (mit Floridsdorf) 1884 der Ausnahmezustand verhängt wurde, war die österreichische Arbeiterbewegung nicht viel mehr als die Summe aller möglichen, noch dazu mit Lockspitzeln und "agents provocateures" durchsetzten Sekten. Andererseits hatte ein überaus dynamischer Industrialisierungsschub etwa Mitte der 1880er Jahre völlig neue Bedingungen für den Aufbau einer Massenpartei der industriellen Arbeiterschaft geschaffen.

Zu diesem Zeitpunkt tritt auch eine neue Führungsgarnitur mit neuen politischen Konzepten auf, als deren wichtigster Repräsentant sich der großbürgerlich-jüdische Arzt Dr. Viktor Adler profilierte. In erstaunlich kurzer Zeit gelang es Adler, die zerstrittenen Flügel der österreichischen Arbeiterbewegung zu sammeln und in der "Prinzipienerklärung" des Hainfelder Parteitags an der Jahreswende 1888/1889 verbindlich auf eine gemeinsame Programmatik festzulegen. Adler kam ursprünglich aus der deutschnationalen Bewegung und hatte für diese noch 1882 den sozialpolitischen Teil des "Linzer Programms" verfasst. In seiner Studienzeit war er Leitungsmitglied des "Lesevereins der deutschen Studenten Wiens", in den 1870er Jahren Mitglied oder geistiges Haupt einer Reihe von losen Zirkeln der rebellierenden deutschen Intelligenz Wiens. Die radikale Hinwendung zur ästhetischen Religion Richard Wagners kennzeichnete diese Zirkel ebenso wie eine beinahe fanatisch zu nennende Nietzsche- und Schopenhauer-Rezeption. Adler hat in vielerlei Hinsicht die Konzeptionen und Ideale seiner Jugend in sein späteres Politikverständnis integriert. Und es ist deren massenhafte Umsetzung in die konkrete Politik der Arbeiterpartei, die äußeres Erscheinungsbild und inneren Gehalt der österreichischen Arbeiterbewegung entscheidend mitbestimmten. Adler und der frühen Führungsgarnitur lagen die großen theoretischen Auseinandersetzungen, wie sie beispielsweise die deutsche oder französische Partei kennzeichneten, fern; ihnen ging es um die Gestaltung der Arbeiterbewegung vor allem als Kulturbewegung. Sozialismus bedeutete ihnen vor allem die disziplinierte Selbstqualifizierung und Selbstbestimmung des freien Individuums. Darüber hinaus erweiterte der politische Arzt Adler seine "Therapie" auf den sozialen Körper der gesamten Arbeiterschaft. Die Modernisierung des gesellschaftlichen Lebens, die Modernisierung der Wirtschaft und der staatlichen Strukturen waren ihm ebenso ein Anliegen wie eine effiziente Gestaltung der Arbeiterschutzgesetzgebung, die er als unabdingbare Voraussetzung für die Herausbildung einer Arbeiterschaft westeuropäischen Zuschnitts betrachtete. Hermann Bahr hat von Adler in diesem Sinn einmal von "Victor dem Stifter" gesprochen.

Kampf um das allgemeine Wahlrecht und Aufstieg zur Massenbewegung

Politisch hat Adler von Anbeginn an die gesamte Bewegung auf einen über 15-jährigen Kampf um das allgemeine Wahlrecht festgelegt, in dem er die einzige Möglichkeit zur emanzipatorischen Artikulation der Arbeiterschaft wie zum Überleben des Habsburgerstaates überhaupt sah. Adler riskierte dafür die Absorbierung beinahe aller organisatorischer und taktischer Kräfte wie auch tiefgehende strukturelle Krisen in der Partei selbst. Als er jedoch das historische Zusammentreffen einer Reihe von günstigen inneren und äußeren Umständen 1905 taktisch meisterhaft umsetzen konnte, gelang es, in einem historischen Kompromiss zwischen Krone, Bürokratie und Arbeiterschaft gegen das Privilegienparlament das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht durchzusetzen. Die Arbeiterbewegung hatte ihren bis dahin bedeutendsten Erfolg errungen und sich gleichzeitig den Ruf einer "k. k. privilegierten Sozialdemokratie" eingehandelt. Wiewohl die auf der Basis "Gemeinsamkeit des Programms, Abstimmung der Taktik, Autonomie der Organisation" strukturierte österreichische Arbeiterbewegung in Form einer "Kleinen Internationale" als vorbildlich organisiert galt, wurde sie noch vor der Monarchie unter dem Druck nationalistischer Strömungen zerschlagen.

Während noch um 1900 die Mitgliederzahl in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Wien sich mit 35.000 Männern und lediglich 2.400 Frauen in bescheidenen Grenzen hielt, sorgte die dynamische wirtschaftliche Entwicklung der Jahre 1902-1912 für einen beachtlichen Anstieg, der es der Arbeiterbewegung ermöglichte durch zahlreiche Streiks die zu Lohnverbesserungen, Arbeitszeitverkürzungen und zur Festigung des Kollektivvertragssystems führten ihre Schlagkraft unter Beweis zu stellen. Doch um 1912 endete diese Periode. Die offensichtliche Unhaltbarkeit der Organisationsform zentralisierter Gewerkschaften hatte 1912 zur Abspaltung der tschechoslowakischen Sozialdemokratie geführt. Ab diesem Zeitpunkt wurde die österreichische Arbeiterpartei zunehmend handlungsunfähig; die strukturelle Krise fand in den entscheidenden Tagen des Juli und August 1914 ihren dramatischen Höhepunkt.

Erster Weltkrieg

Zur Sicherung ihrer Existenz und ihres Organisationsgefüges und wohl auch aus patriotischen Gründen stellte die österreichische Arbeiterbewegung ihre Tätigkeit in den ersten drei Kriegsjahren beinahe völlig ein und ordnete sich im großen und ganzen dem habsburgischen Kriegsabsolutismus unter. Erstmalig erreichten ihre Repräsentanten, wie etwa Karl Renner, hohe Regierungsämter. Renners "Kriegssozialismus" ging von der Annahme aus, dass die durch die Notwendigkeiten der Kriegsproduktion von oben her geschaffene "Vergesellschaftung" die Voraussetzungen für einen reibungslosen Übergang zum Sozialismus in Friedenszeiten schaffen würde. Gegen diese "Burgfriedenspolitik" und gegen die innerparteiliche Isolierung der Kriegslinken entschloss sich Friedrich Adler zum individuellen Terrorakt: Er erschoss am 21. Oktober 1916 im Hotel "Meißl & Schadn" die Symbolfigur des österreichiscenh Kriegsabsolutismus, Ministerpräsident Graf Stürgkh.

Aber erst das Zusammenspiel des öffentlichkeitswirksamen Prozesses im Mai 1917, der großen Streiks nach dem Hungerwinter 1916/1917 und der russischen Märzrevolution verlieh dem Attentat historische Bedeutung. Sie ermöglichte die Neuformierung der Kriegslinken; Friedrich Adler wurde zum gefeierten Heros der Arbeiterschaft. In den großen Streiks des Jänner 1918 wurden neben den Forderungen nach Verbesserung der Ernährungslage und sofortigem Friedensschluss immer deutlicher Forderungen nach einer demokratischen und sozialistischen Republik artikuliert. Einen Tag vor Ausrufung der Republik starb am 11. November 1918 mit Viktor Adler jener Mann, der die österreichische Arbeiterbewegung in den ersten 30 Jahren ihres Bestehens entscheidend geformt hat; er war zu diesem Zeitpunkt Außenminister der Provisorischen Staatsregierung.

Zwischenkriegszeit

Mit der Gründung der Republik, den ersten freien Wahlen und der temporären Lähmung des bürgerlichen Lagers erlebten SDAP und freie Gewerkschaften in den unmittelbaren Nachkriegsjahren eine enormen Zulauf. Die SDAP wurde zur Massenintegrationspartei auf Klassenbasis mit dem höchsten Organisationsgrad aller sozialdemokratischer Parteien in Europa. Durch die Integration verschiedener Parteiflügel von reformistisch bis revolutionär gelang es ihr die Konkurrenz von Links weitgehend zu marginalisieren. Nur in Wien gelang es der Partei den hohen Mitgliederstand zu halten und zu erweitern. Dies war vorrangig auf den starken Anstieg des Frauenanteils zurückzuführen. Am Beginn der 1930er Jahre zählte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Wien über 400.000 Mitglieder. Von diesen gehörten rund 60 Prozent der manuellen Arbeiterschaft an, 57 Prozent waren unter 40 Jahre alt. Rund 80 Prozernt der Arbeiterinnen und Arbeiter dürften bei den Wahlen der Jahre 1923 bis 1930 sozialdemokratisch gewählt haben. Entsprechend bewegte sich der Stimmenanteil der SDAP nahe des Zweitdrittel-Anteils. Die Arbeiterbewegung verfügte über eine hohe Organisationsdichte. Sie kommt in der Zahl der Vertrauenspersonen zum Ausdruck die 1928 auf 18.700 in Wien geschätzt wurde. Dazu kam eine breite Palette an Kultur- und Sportinstitutionen die der Verwirklichung eines Gegenmodells zur bürgerlichen Gesellschaft dienen sollten.[1] In ähnlichen Dimensionen bewegte sich die Mitgliederzahl der freien Gewerkschaften die Ende der 1920er Jahre etwa 420.000 betrug.[2]

Ideologische Grundlage lieferte der Austromarxismus mit seinen Protagonisten Otto Bauer, Max Adler, Karl Renner. Dessen Ziel war die Schaffung einer Kulturgemeinschaft mit dem Ideal des "Neuen Menschen". Im Gegensatz zum Bolschewismus sollte dieses Ziel auf evolutionären Weg erreicht werden durch Schaffung eines "Gleichgewichts der Klassenkräfte". Damit verbunden war eine hohe Wertschätzung der Verwissenschaftlichung und Rationalisierung. Daraus resultierten die politischen Schwerpunkte im Bereich der Wohlfahrts- und Bildungspolitik, wobei letztere mit ihrer Forderung von der Entkonfessionalisierung des Schulwesens und der Öffnung höherer Bildung für die Arbeiterschaft auf den größten Widerstand der bürgerlichen Parteien und der katholischen Kirche stieß.

Verfolgung und Zerschlagung

Ab den frühen 1930er Jahren geriet die Arbeiterbewegung durch die Weltwirtschaftskrise und die sich verstärkenden autoritären Tendenzen in der Christlichsozialen Partei immer mehr in die Defensive. Dies gipfelte im März 1933 in die schrittweise Beseitigung aller demokratischen Institutionen durch das Dollfuß-Schuschnigg-Regime. Zunächst wurden 1933 die freien Gewerkschaften verboten, dann nach dem Februaraufstand der Arbeiterbewegung die Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Bis Mitte März 1934 wurden rund 8.000 Personen die der Arbeiterbewegung zuzurechnen waren über kürzere oder längere Zeit vom Regime inhaftiert. Die gesamten der Arbeiterbewegung zuzurechnenden Organisationen und Vereine wurden aufgelöst, ihr VErmögen beschlagnahmt. Im Untergrund formierten sich die "Revolutionären Sozialisten" deren Wiener Führungsspitze allerdings im Jänner 1935 fast zur Gänze verhaftet wurde. Mit dem "Anschluss" brach der Wiederstand der Arbeiterbewegung vollständig zusammen. Prominente Mitglieder der Arbeiterbewegung jüdischer Herkunft wie Käthe Leichter und Robert Danneberg wurden in Konzentrationslagern ermordet, andere wie Rosa Jochmann und Karl Seitz überlebten den NS-Terror in Konzentrationslagern nur durch glückliche Umstände.

Neubeginn

Die Reetablierung der Sozialdemokratischen Partei in Wien vollzog sich am 14. April 1945 im Wiener Rathaus. Die Wiederbegründung erfolgte durch Vertreter des rechten und linken Parteiflügels, daher unter dem Namen "Sozialistische Partei Österreichs und Revolutionäre Sozialisten". Schon am 13. September 1945 beschloss der Parteivorstand die Bezugnahme auf die "Revolutionären Sozialisten" wegzulassen. Damit war auch eine Abkehr von der Forderung nach grundlegender Änderung der Gesellschaftsordnung wie sie bis 1933 bestanden hatte verbunden. Wenig später wurde der Österreichische Gewerkschaftsbund ins Leben gerufen und innerhalb des ÖGB eine Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter. Die ersten Jahre nach Kriegsende standen im Zeichen einer pragmatischen Politik der Hebung des Lebensstandards der Arbeiterschaft. In Gegnerschaft zum Kommunismus und zur sowjetischen Besatzungsmacht blieb marxistische Rhetorik unterbelichtet. Anhänger einer Koalition mit der KPÖ wie der Revolutionäre Sozialist Erwin Scharf schieden daher 1949 aus der Partei aus. Innerhalb der Gewerkschaft wurde eine pragmatische Politik der Lohnzurückhaltung bei gleichzeitigem Ausbau des Sozialstaates verfolgt. Die Verstaatlichung der Industrie erfolgte nicht im Sinn einer Sozialisierung, vielmehr zum Zweck der Wirtschafdtslenkung durch den Staat.

In den Jahren des Wiederaufbaus und vollends während des "Wirtschaftswunders" wandelte sich die Arbeiterbewegung weg von einer kämpferischen Gesinnungsgemeinschaft hin zu einer pragmatischen Interessensvertretung. Im Wiener Parteiprogramm der SPÖ von 1958 definierte sich die Partei als Partei "aller Arbeitenden". Die industrielle Arbeiterschaft als Kernwählerschicht rückte auch darum immer mehr in den Hintergrund, weil in den 1960er Jahren eine rasche Deindustrialisierungswelle einsetzte, von der besonders rasch der Industriestandort Wien betroffen war. Der "Verangestelltung" musste sich auch die Arbeiterbewegung stellen. Nach dem Ende der Ära Kreisky bei der noch ein Höchstand an Mitgliederzahlen bestehen blieb, kam es ab Mitte der 1980er Jahre zu einem immer deutlich werdenden Mitgliederschwund.

Ab den späten 1960er Jahren erlangte die Frauenbewegung innerhalb der SPÖ und der Sozialistischen Fraktion des Österreichischen Gewerkschaftsbundes größeres Gewicht. Forderungen nach Gleichberechtigung, Reformen im Justizwesen (Familienrecht, Regelung des Schwangerschaftsabbruch) und dem Zugang zu höherer Bildung wurden von Proponentinnen wie Hertha Firnberg, Johanna Dohnal innerhalb der Arbeiterbewegung vorangetrieben. Im Jahr 1990 wurde Johanna Dohnal erste Frauenministerin, 1998 ein Parteiprogramm veröffentlicht welches der Frauenpolitik größeren Stellenwert einräumte.

Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert war die Arbeiterbewegung mit einem zunehmend komplexeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel konfrontiert der die Vertretung von Arbeiternehmerinteressen nicht unbedingt leichter machte. Die rasante Zunahme von neuen Beschäftigungsformen (Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, neue Selbständigkeit) förderten Einkommens- und Vermögensungleichheit, neue Armut (besonders bei Alleinerziehenden Personen) und schwindende Gestaltungsmacht angesichts der Macht internationaler Konzerne. Auch das Regelwerk der als Wirtschafts- und Sozialunion konzipierten Europäischen Union sorgte für neue Herausforderungen. Insgesamt gelang es allerdings doch, wesentliche Grundpfeiler des Sozial- und Wohlfahrtsstaates in das neue Jahrtausend hinüber zu retten.

Literatur

  • Ludwig Brügel: Geschichte der österreichisch Sozialdemokratie. 5 Bände. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1922-1925
  • Else Klose: Zeittafel der Österreichischen Arbeiterbewegung von 1867 bis 1934. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1962
  • Wolfgang Maderthaner: Formationsperiode. In: Hannes Androsch/Heinz Fischer/Wolfgang Maderthaner (Hg.): Vorwärts. Österreichische Sozialdemokratie seit 1889. Wien: Brandstätter 2020, S. 18-69
  • Wolfgang Maderthaner: Die prekäre Republik. In: Hannes Androsch/Heinz Fischer/Wolfgang Maderthaner (Hg.): Vorwärts. Österreichische Sozialdemokratie seit 1889. Wien: Brandstätter 2020, S. 112-137
  • Wolfgang Maderthaner [Hg.]: Sozialdemokratie und Habsburgerstaat. Wien: Löcker 1988
  • Magistratsabteilung für Statistik (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien für das Jahr 1929. NF 2, Wien: Gerlach & Wiedling 1930
  • Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740 - 1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), S. 349 ff.
  1. Wolfgang Maderthaner: Die prekäre Republik. In: Hannes Androsch/Heinz Fischer/Wolfgang Maderthaner (Hg.): Vorwärts. Österreichische Sozialdemokratie seit 1889. Wien: Brandstätter 2020, S. 114-115.
  2. Magistratsabteilung für Statistik (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien für das Jahr 1929. NF 2, Wien: Gerlach & Wiedling 1930, S. 112.