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Antisemitismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 12. September 2023, 13:52 Uhr

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Die radikalste und blutigste Judenverfolgung des Mittelalters in Wien fand 1421 statt (Geserah). 1670 kam es zur Ausweisung der Juden aus dem Getto in der Leopoldstadt. Auch in der Folge kam es immer wieder zu Tumulten gegen die Juden, wie etwa 1700, als es zu einem Aufruhr vor dem Haus Oppenheimers am Petersplatz kam. Erst seit Joseph II. begann die allmähliche Emanzipierung der Juden.

Seit 1879 ist Antisemitismus der allgemein gültige Begriff für Judenhass. Antisemitismus ist eine Geisteshaltung, die auf religiöser Intoleranz, Konkurrenz- und Brotneid sowie rassistischer und nationaler Überheblichkeit beruht. In Wien wird Antisemitismus seit 1848 im Kampf gegen den Liberalismus betrieben. Sebastian Brunner (1814-1893) schrieb in der "Wiener Kirchenzeitung" unter dem Slogan "Liberalismus = Judentum". Seit 1876 ist für Carl von Vogelsang (1818-1890) im Kampf gegen die das Handwerk zugrunderichtende aufstrebende Industrie "Kapitalismus = Judentum". Derart wird der Antisemitismus ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie der Christlichsozialen. Karl Lueger (1844-1910, Bürgermeister 1897-1910) tritt 1887 dieser Parteigruppierung bei. Im Urteil Ignaz Seipels (1878-1932) war die Sozialdemokratie, die einen hohen Prozentsatz an jüdischen Parteiführern hatte (Viktor Adler, Otto Bauer, Robert Danneberg, Julius Deutsch), zu stark jüdisch durchsetzt; für Seipel waren die Juden "allem Umsturz geneigt". Er verquickte Sozialdemokratie mit Bolschewismus, bezeichnete die "bolschewistische Gefahr" als "jüdische Gefahr" und forderte daher, man müsse sich "gründlich von den Juden scheiden", denn sie seien ein "zersetzendes Element". 1876 meint der Chirurg Theodor Billroth (1829-1894) in "Das Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften", zwischen Juden und Deutschen gebe es eine unüberbrückbare Kluft, sie könnten niemals deutsch fühlen. Dieser ethnisch geäußerte Antisemitismus wurde von Wiener Studentenverbindungen 1887 aufgegriffen und als Arierparagraph in die Statuten aufgenommen; Juden wurden hinfort als Mitglieder abgelehnt. Dieser Schritt beeindruckte Georg Ritter von Schönerer (1842-1921), der 1879 den Antisemitismus in die Politik einführte. 1877 bezeichnete er im Parlament den Antisemitismus "als einen Grundpfeiler des nationalen Gedankens", ja, "als größte Errungenschaft dieses Jahrhunderts" überhaupt.

Für die Gemeinderatswahl 1888 verbanden sich 1887 die Christlichsozialen und die Deutschnationalen zu einer Wahlgemeinschaft, der "Antisemitenliga". 1888 wegen Hausfriedensbruch verurteilt, schied Schönerer aus, und Lueger wurde nun der Führer der antisemitischen Bewegung. Als Lueger 1897 zum Bürgermeister gewählt wurde und die Christlichsozialen vor kommunale und staatserhaltende Aufgaben gestellt wurden, zwang sie die Staatsräson, sich vom Radauantisemitismus zu distanzieren. Luegers Antisemitismus war zum Teil ökonomisch orientiert (beispielsweise propagandistisch gestützte Konfrontation der christlichsozial dominierten Gewerbetreibenden mit jüdischem Kapital oder Problematik der Finanzierung der Kommunalisierungen und anderer städtischer Investitionen infolge der bewussten Zurückhaltung ausländischer Geldgeber). Leute wie der niederösterreichische Abgeordnete Ernest Schneider (der ein "Abschussgeld" für Juden forderte) oder der Weinhauser Pfarrer Josef Deckert (1843-1901), der die Juden des Ritualmords bezichtigte (jedoch vom Floridsdorfer Rabbiner Joseph Samuel Bloch vor Gericht in die Schranken gewiesen werden konnte), wurden in den Hintergrund gedrängt. Der Antisemitismus wurde auf das Gebiet der Kultur verlagert; das Kaiser-Jubiläums-Stadttheater (Volksoper) stellte den Versuch dar, ein "arisches" Theater zu errichten, doch musste der Versuch nach fünfjähriger Spielzeit (1903) aufgegeben werden.

Um die Jahrhundertwende agierten viele antisemitische Phantasten, Okkultisten (Guido von List, 1848-1919), Sektierer und Rassisten (wie Jörg Lanz von Liebenfels, 1874-1919). Weite Verbreitung fanden "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) des Pseudowissenschaftlers Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), der 1889-1909 in Wien lebte und befürchtete, die "nordische Rasse" werde von den die Weltherrschaft anstrebenden Juden überrollt werden. Alle diese Ideen und Schriften nahm Adolf Hitler, der 1907-1913 in Wien lebte, in sich auf; sie brachten sein antijüdisches Vorurteil zur vollen Entfaltung. Während des Ersten Weltkriegs wurde der Antisemitismus in Wien neuerlich virulent; bei allen Niederlagen, Mängeln und Leiden schob man den Juden die Schuld zu. Nach Kriegsende verlangten die Christlichsozialen und die Deutschnationalen scharfe Maßnahmen gegen die Juden. 1919 wurde der Antisemitenbund gegründet, dessen Grundsatz es war, die Juden auf allen Gebieten des Lebens zu bekämpfen; die Studenten verlangten einen numerus clausus, der 1930 über die Gleispachsche Studentenordnung eingeführt werden sollte, jedoch am Einspruch des Verfassungsgerichtshofs scheiterte.

1925 wurde der Schriftsteller Hugo Bettauer (1872-1925) nach einem Attentat das erste Opfer der verstärkten antisemitischen Hetze. Die Nationalsozialisten wurden im Antisemitismus führend; es kam zu Übergriffen auf Synagogen und jüdische Geschäfte, schließlich sogar zu Bombenattentaten auf Juden (Juwelier Norbert Futterweit). Während des Regimes des Ständestaats ließ auch die katholische Kirche erkennen, wie sehr sich ihr Antisemitismus gewandelt hatte; selbst kirchliche Würdenträger vertraten einen ethnischen Antisemitismus (Bischof Johannes Gföllner) und Pater Georg Bichlmayr SJ, Leiter des Paulus-Werks in Wien, erklärte offen, dass katholisch-konvertierte Juden wegen ihrer "bösen Erbanlagen" nicht in höhere Positionen aufrücken dürften. Für viele (etwa Bischof Alois Hudal) war der Nationalsozialismus mit dem Christentum ohne jede Einschränkung vereinbar. Dieser so propagierte Antisemitismus zeigte seine vollen Auswirkungen sogleich nach dem "Anschluss" 1938. Es kam in Wien zu pogromartigen Exzessen gegen die Juden, zu ihrer Entlassung und Enteignung, Verhaftung und Zwangsauswanderung. Im November 1938 erfolgte in der so genannten Reichskristallnacht die Zerstörung der Wiener Synagogen und gleichzeitig die endgültige Eliminierung der Juden aus dem Wirtschaftsleben; sie wurden von der übrigen Bevölkerung abgesondert. Ab 1941 begann die endgültige physische Vernichtung der Juden Wiens; alle hier Zurückgebliebenen wurden deportiert. 65.459 jüdische Österreicherinnen und Österreicher fielen dem Holocaust zum Opfer.

1945 ist der Antisemitismus nicht verschwunden; Überlebenden des Holocaust wurde nur langsam und zögernd Hilfe gewährt, sie wurden eher als Last empfunden. Die Rückkehr von jüdischen Emigranten wurde nicht gefördert. Mit dem Abzug der Besatzungsmächte (1955) wurden neonazistische Gruppen aktiv; 1960 kam es zu antisemitischen Schmieraktionen und Friedhofsschändungen. Der "Fall Borodajkewycz" bildete 1965 den ersten Höhepunkt antisemitischer Hetze nach dem Zweiten Weltkrieg. Antisemitische Verbalinjurien gegen Bruno Kreisky im Parlament und in Wahlkämpfen bürgerten sich ein. Die Bundespräsidentenwahl 1986 und die Watch-list-Entscheidung der US-Regierung hatten in Wien ebenfalls antisemitische Auswirkungen. 1991 wurde eine "Wiener Gesellschaft zur Abwehr des Antisemitismus" gegründet.

Am 29. Jänner 2015 beschloss der Wiener Gemeinderat eine Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus. Mit dieser Erklärung spricht sich die Stadt gegen jede Form des Antisemitismus aus und verpflichtet sich dazu, immer für den Schutz der jüdischen Gemeinde einzutreten.

Siehe auch:

Literatur

  • Jonny Moser: Von der Emanzipation zur antisemitischen Bewegung. Die Stellung Georg Ritter von Schönerers von Heinrich Friedjungs in der Entwicklungsgeschichte des Antisemitismus in Österreich (1848-1896). Diss. Univ. Wien. Wien 1962
  • Jonny Moser: Zwischen Doppeladler und Kruckenkreuz. In: Robert Waissenberger [Hg.]: Wien 1870 - 1930. Traum und Wirklichkeit. Salzburg / Wien: Residenz Verlag 1984
  • Jonny Moser: Antisemitismus und Zionismus im Wien des Fin de siecle. In: Tino Erben [Red.]: Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 – 1930. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1985 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 93), S. 260 ff.
  • Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740 - 1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), Register
  • Hans Safrian / Hans Witek: Und keiner war dabei. Dokumente des alltäglichen Antisemitismus in Wien 1938. Wien: Picus-Verlag 1988
  • Isak A. Hellwing: Der konfessionelle Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Österreich. Wien [u.a.]: Herder 1972
  • Peter Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Gütersloh: Mohn 1966
  • John Bunzl / Bernd Marin: Antisemitismus in Österreich. Sozialhistorische und soziologische Studien. Innsbruck: Inn-Verlag 1983 (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, 3)
  • Franz Pototschnig u.a. [Hg.]: Semitismus und Antisemitismus in Österreich. München: Kovar 1988

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